Digitalisierung und fachliche Erschließung der Graphischen Einzelblätter der Sammlung des Architekten Albrecht Haupt (GESAH)

Technische Informationsbibliothek – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und Universitätsbibliothek Hannover (TIB)
Bau- und Stadtbaugeschichte, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, Leibniz Universität Hannover (LUH)

Die "Sammlung Albrecht Haupt" ist eine überregional und international bedeutsame Sondersammlung der TIB. Sie wurde von dem lange Jahre an der damaligen Technischen Hochschule Hannover lehrenden Architekten und Bauforscher Karl Albrecht Haupt (1852–1932) zusammengetragen, der sie noch zu Lebzeiten der Bibliothek der TH Hannover übergab.

Bereits 1941 bewertete die Architekturhistorikerin Lieselotte Vossnack die Sammlung als einen herausragenden Bestand, „[...] vergleichbar lediglich mit der aus öffentlichen Mitteln zustande gekommenen Sammlung der Staatlichen Kunstbibliothek zu Berlin” (heute Kunstbibliothek im Verbund der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz). Haupt selbst äußerte 1923 den Wunsch „daß die Sammlung durch ein ausführliches, wissenschaftlichen Anforderungen entsprechendes Verzeichnis erschlossen wird und die Kenntnis von ihrem Vorhandensein in weitere Kreise in- und außerhalb Hannovers dringt.“
Dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) kann diesem Wunsch nun entsprochen werden.

Objekt des Monats

Dezember 2022

Unbekannter kleiner Zeichner, Anfang 19. Jahrhundert

Ansicht einer Saalwand mit Kolossalpilastergliederung

Graphitstift, Pinsel, farb. getuscht

39,7 cm x 24,9 cm

 

TIB Slg. A. Haupt, kl D Z 1: 4b

Immer wieder stößt man unter den Graphikblättern der Sammlung Haupt auf kleinere oder größere Überraschungen. So findet sich auf der Rückseite einer eher unscheinbaren Federzeichnung die Tuschezeichnungen eines offenbar jüngeren Zeichners oder einer Zeichnerin. Abgebildet ist eine durch Kolossalpilaster gegliederte Wand eines hohen repräsentativen Saales, dessen hochliegende Fenster von zurückgebundenen schweren Vorhängen gerahmt werden. Als Betrachter fühlt man sich an einen Hintergrundprospekt einer Bühne erinnert, auf der nun gleich diverse Figuren auftreten werden. Durch die Fensteröffnungen beobachten zwei in Graphitstift skizzierte Tiere, ein Ziegenbock und eine Ziege, das bevorstehende Schauspiel.
Aus der Vorderseite lassen sich nur wenige Hinweise zum Entstehungskontext ableiten. Dargestellt ist hier der Blick durch eine zentralperspektivisch angelegte Tordurchfahrt in eine nur schemenhaft angedeutete bergige Landschaft. Obwohl sie den Eindruck einer Reiseskizze erweckt, erinnert sie aufgrund der akademisch wirkenden Zentralperspektive eher an eine Studienzeichnung. In der Sammlungsdokumentation wird dem Blatt eine Entstehungszeit Anfang des 19. Jahrhunderts und die Herkunft aus dem deutschsprachigen Raum attestiert. Denkbar ist aus sammlungsgeschichtlichen Überlegungen ein Entstehungszusammenhang mit der Zeichenschule Friedrich Weinbrenners (1766-1826) in Karlsruhe. Skizzen auf den Rückseiten der überlieferten Übungsblätter zeigen immer wieder kindliche Karikaturen oder Skizzen, was sozialgeschichtliche Rückschlüsse auf den Alltag dieser Ausbildungssituationen, u.a. zum  frühen Eintrittsalter der Schüler oder auch zu elterlichen Betreuungssituationen um 1800 erlaubt (Wer je im Homeoffice Kinder betreut hat, mag dies vielleicht auch heute noch aus eigener Erfahrung leicht nachvollziehen können). Womöglich bezeugt diese Zeichnung daher den Beginn einer großartigen Karriere eines bedeutenden Architekten des 19. Jahrhunderts.


Simon Paulus