Immer wieder stößt man unter den Graphikblättern der Sammlung Haupt auf kleinere oder größere Überraschungen. So findet sich auf der Rückseite einer eher unscheinbaren Federzeichnung die Tuschezeichnungen eines offenbar jüngeren Zeichners oder einer Zeichnerin. Abgebildet ist eine durch Kolossalpilaster gegliederte Wand eines hohen repräsentativen Saales, dessen hochliegende Fenster von zurückgebundenen schweren Vorhängen gerahmt werden. Als Betrachter fühlt man sich an einen Hintergrundprospekt einer Bühne erinnert, auf der nun gleich diverse Figuren auftreten werden. Durch die Fensteröffnungen beobachten zwei in Graphitstift skizzierte Tiere, ein Ziegenbock und eine Ziege, das bevorstehende Schauspiel.
Aus der Vorderseite lassen sich nur wenige Hinweise zum Entstehungskontext ableiten. Dargestellt ist hier der Blick durch eine zentralperspektivisch angelegte Tordurchfahrt in eine nur schemenhaft angedeutete bergige Landschaft. Obwohl sie den Eindruck einer Reiseskizze erweckt, erinnert sie aufgrund der akademisch wirkenden Zentralperspektive eher an eine Studienzeichnung. In der Sammlungsdokumentation wird dem Blatt eine Entstehungszeit Anfang des 19. Jahrhunderts und die Herkunft aus dem deutschsprachigen Raum attestiert. Denkbar ist aus sammlungsgeschichtlichen Überlegungen ein Entstehungszusammenhang mit der Zeichenschule Friedrich Weinbrenners (1766-1826) in Karlsruhe. Skizzen auf den Rückseiten der überlieferten Übungsblätter zeigen immer wieder kindliche Karikaturen oder Skizzen, was sozialgeschichtliche Rückschlüsse auf den Alltag dieser Ausbildungssituationen, u.a. zum frühen Eintrittsalter der Schüler oder auch zu elterlichen Betreuungssituationen um 1800 erlaubt (Wer je im Homeoffice Kinder betreut hat, mag dies vielleicht auch heute noch aus eigener Erfahrung leicht nachvollziehen können). Womöglich bezeugt diese Zeichnung daher den Beginn einer großartigen Karriere eines bedeutenden Architekten des 19. Jahrhunderts.
Simon Paulus