Die hochformatige Federzeichnung zeigt auf einer Anhöhe ein antikisierendes römisches Grabmonument mit auffälligem Reliefschmuck, das auf einem massiven Sockel thront. Sein ruinöser Zustand wird durch die wuchernde Vegetation, einen im Vordergrund umgestürzten Altar sowie ein bereits brüchiges Korbkapitell, aus dem der Akanthus sprießt, verstärkt. Eine knorrige Pinie ragt aus den steinernen Relikten empor, im Hintergrund rechts verblassen die Substruktionen einer monumentalen Anlage.
Das Blatt steht in engem Zusammenhang mit einer Radierung aus der vier Blätter umfassenden Folge der sog. „Grotteschi“, die Giovanni Battista Piranesi (1707 –1778) zwischen 1747 und 1749 schuf und publizierte. In der Radierung „Tomba di Nerone“ (Abb. 1) sind die gleichen Monumente zu erkennen. G. B. Piranesi kombiniert sie als Capriccio mit weiteren Antiken und fantastischen Elementen wie etwa einem Delfin, der über einer Mauer liegt, und zahlreichen sich windenden Schlangen, wodurch eine bedrohlich unheilvolle Stimmung hervorgerufen wird. Das Grabmal erinnert in seiner Form und Aufstellungssituation an das Grabmal des Publius Vibius Marianus in Rom, unterscheidet sich jedoch in den Details der markanten Reliefs. An der Via Cassia gelegen und zunächst als Grabmal des Nero (Tomba di Nerone) missinterpretiert, war und ist es bis heute unter diesem Namen bekannt – und zu finden. G. B. Piranesi übernimmt die hohen Eck-Akroterien des Monuments des P. Vibius Marianus, seine Relief-geschmückte Inschriftentafel und die Positionierung auf der Anhöhe, wählt für das Dekor seiner Darstellung jedoch Formen, wie etwa die Faszienbündel oder die verschränkten Hände mit Caduceus, die nicht am Original zu finden, aber durchaus von antiken Reliefs überliefert sind. Zudem weist seine Inschrift tatsächlich auf Nero hin. Für die „Groteske“ ersinnt Piranesi gewissermaßen ein fiktives Grabmonument des Nero aus antiken Versatzstücken und bedient sich der Assoziation und der geläufigen Gleichsetzung mit dem realen Grabmal des P. Vibius Marianus.
Die vorliegende Federzeichnung, die G. B. Piranesis Invention detailgetreu kopiert, erwarb Albrecht Haupt bei der Auktion der Handzeichnungssammlung Heinrich Lempertz‘ senior (J. M. Heberle, 17. Oktober 1905, Lot-Nr. 450). Das Blatt weist auf dem Verso die Sammlermarke H. Lempertz‘ auf (Lugt 1337). Haupt montierte, was er häufiger tat, zwei kleine Ausschnitte aus dem Auktionskatalog auf den unteren Rand der Trägerpappe: Sie enthalten die Künstlerangabe „Giamb. Piranesi (1707–1778)“ und die Beschreibung des Lots „‚Landschaft‘ mit Ruinen, verfallenen Monumenten etc. – H 340, Br 250 mm. Vollendete ausgeführte Federzeichnung“. Mit Bleistift nahm Haupt eine Zuschreibungsänderung vor und ersetzte „Giamb.“ durch „Francesco“. Mit der Zuschreibung an den Sohn Francesco Piranesi (1758–1810) war für Haupt klar, dass die Zeichnung nach der Radierung des Vaters entstanden sein muss. Indem der Zeichner auf die offensichtlich grotesken Bildelemente verzichtet, präsentiert er das Monument in der Art einer römischen Vedute: im Fokus allerdings ein fiktives Grabmal, das – anders als im dezidiert eklektischen Vorbild der „Grottesche“ – zum Kuriosum wird.
Birte Rubach