Das Essigsäure Syndrom (Vinegar Syndrom)
Bereits bei der ersten Sichtung der Filmkopien für die Digitalisierung konnte ein zum Teil starker Essiggeruch festgestellt werden, welcher auf das sogenannte Essigsäure-Syndrom (Vinegar-Syndrom) hinweist.
Für die Herstellung von Filmen wurden für die Trägermaterialien drei Arten von Kunststoffen verwendet: Cellulosenitrat von ca. 1890 bis 1950, Celluloseazetat von ca. 1925 bis heute und Polyester von ca. 1960 bis heute. Da Filme aus Cellulosenitrat niemals im 16mm Format konfektioniert wurden, sind sämtliche ethnologischen Filme im Projekt auf Basis von Celluloseazetat. Polyester als Trägermaterial konnte bisher nicht identifiziert werden. Filme auf Basis von Celluloseazetat bezeichnet man auch als Sicherheitsfilm, da sie im Gegensatz zu Cellulosenitratfilmen schwer entflammbar sind. Die Sicherheitsfilme lassen sich relativ leicht anhand der am Filmrand neben der Herstellerbezeichnung und der Filmtypbezeichnung einbelichteten Bezeichnungen: Sicherheitsfilm, safetyfilm, safety oder auch Nonflam identifizieren.
Der chemische Mechanismus der dem Essigsäure Syndrom zugrunde liegt, ist die saure Hydrolyse. Celluloseazetatfilme unterliegen unter Anwesenheit von Feuchtigkeit einer Hydrolyse-Reaktion. Hierbei werden die Celluloseester unter Einfluss von Feuchtigkeit gespalten. Als Reaktionsprodukt der Hydrolyse entsteht u.a. Essigsäure, der Trägerfilm zersetzt sich, in Folge wird die Emulsionsschicht brüchig und löst sich teilweise oder vollständig vom Träger. Diese Zersetzung ist mit einer messbaren Schrumpfung des Filmmaterials verbunden, was eine Digitalisierbarkeit der Materialien erschwert oder sogar unmöglich macht. Hat das Essigsäuresyndrom einmal eingesetzt, kann die Zersetzung teilweise rapide voranschreiten, da die Hydrolyse ab einem bestimmten Punkt autokatalytisch, also sich selbst verstärkend, abläuft.
Durchführung des Tests
Um einen Eindruck vom Schadensausmaß der Filmsammlung zu erhalten, wurde parallel zur Sichtung der Filme eine Stichprobe von 1107 Filmen getestet. Folgende Fragestellungen sollten mit dem Test beantwortet werden: wie viele Filme haben bereits den kritischen autokatalytischen Punkt erreicht und gibt es Unterschiede im Erhaltungszustand zwischen den Archiv-und Verleihkopien?
Derzeit gibt es auf dem Markt zwei Firmen die Tests auf das Essigsyndrom anbieten: A-D Stripes des Image Permanence Institut Rochester, USA und Danchek Teststreifen der Firma Dancan Cinema Services ApS Kopenhagen, Dänemark.
Um die ethnologische Filmsammlung zu testen, wurden Indikatorstreifen der Firma Dancan verwendet. Mit den Teststreifen lassen sich alle Materialien auf Basis von Celluloseazetat auf ihren pH-Wert überprüfen. Der Film kann dabei in jedem beliebigen Format vorliegen: Planfilm, Rollfilm, 16mm oder 35mm Film oder Mikrofilm. Die Ausgangsfarbe der Indikatorstreifen ist blau. Der Indikatorstreifen wird in der Dose direkt auf dem Film platziert, die Dose wird wieder verschlossen und je nach Aufbewahrungstemperatur ausgewertet. Dabei gilt: je wärmer die Aufbewahrungstemperatur der Filme, desto schneller kann der pH-Wert Test ausgewertet werden. Die Auswertung sollte spätestens nach 24 Stunden erfolgen, da ein verlängerter Testzeitraum zu verfälschten Ergebnissen führt. Nach Ablauf der Mindesteinwirkdauer lässt sich der Farbumschlag anhand einer Farbskala bestimmen. Die Auswertung der Indikatorstreifen erfolgt dabei nicht nur anhand der Farbveränderungen: befindet sich die Farbe des Teststreifens zwischen zwei Nuancen, kann der Geruch der Filmmaterialien zur Auswertung hinzugezogen werden. Je stärker der Essiggeruch, desto niedriger der pH-Wert.
Testergebnisse und Maßnahmen
Insgesamt wurden 1107 Kopien getestet, davon 542 Archivkopien und 565 Verleihkopien.
38 Archivkopien haben den kritischen autokatalytischen Punkt erreicht, als Sofortmaßnahmen müssen diese Kopien vom übrigen Bestand separiert, und in regelmäßigen Abständen auf das Fortschreiten der Degradationsprozesse hin überprüft werden. Eine Beobachtung der Filme ist sehr wichtig, da eine zuverlässige Prognose über das Tempo in dem das Essigsyndrom sich entwickelt, nicht abgegeben werden kann.
Bei jeweils 11 Kopien liegt der pH-Wert mit 4,4 bzw. 4,2 unterhalb des autokatalytischen Punkts. Diese Kopien müssen nach der Digitalisierung unbedingt luftdicht verpackt und vom übrigen Bestand getrennt werden. Eine Entscheidung über den Verbleib der Kopien (Kassieren oder Einfrieren als einzige Erhaltungsmöglichkeit) kann nur nach sorgfältiger Prüfung der Kopienlage erfolgen.
Das Ergebnis für die Verleihkopien fällt insgesamt schlechter als das der Archivkopien aus: hier haben 55 Kopien den kritischen autokatalytischen Punkt erreicht, und insgesamt 79 Kopien befinden sich unterhalb des autokatalytischen Punktes.
Eine mögliche Erklärung für das bessere Abschneiden der Archivkopien bei dem Test könnte die insgesamt bessere, das heisst kühlere Aufbewahrung der Kopien beim IWF sein. Hinzu kommt das Archivkopien nicht in den Leihverkehr gelangten, und demnach nicht den stärkeren Schwankungen von Temperatur und relativen Luftfeuchtigkeit ausgesetzt waren.
Maßnahmen zum Erhalt der Ethnologischen Filmsammlung
Degradationsprozesse lassen sich nicht aufhalten, bestenfalls verzögern. Bei geschädigten Kopien ist eine Digitalisierung die einzige Möglichkeit zur Sicherung der Information, zudem müssen die Originale je nach Schädigungsgrad unter kontrollierten klimatischen Bedingungen aufbewahrt werden. Schwer geschädigte Kopien sollten zudem sofort vom übrigen Bestand separiert werden, da die frei werdenden Säuren „gesunde“ Filme regelrecht infizieren. Neben der erhöhten Infektionsgefahr, wirkt sich der erhöhte Säuregehalt auch negativ auf die Raumluftqualität in Magazinräumen aus und beeinträchtigt bei einer Mischlagerung von Materialien auch empfindliche säurehaltige Papiere oder bereits entsäuerte Papierbestände. Für die Aufbewahrung von Filmmaterialien ist eine gute Belüftung eine bedeutende Präventivmaßnahme.