TIB-Jahresbericht

Am 13. August 2014 wurde die Fields-Medaille, eine der höchsten Auszeichnungen der Mathematik, zum ersten Mal in ihrer Geschichte an eine Frau verliehen.

Die TIB als Deutsche Zentrale Fachbibliothek für Mathematik nimmt dies zum Anlass, in dieser Ausstellung neben der ersten Fields-Medaillistin drei weitere ›mathematische‹ Pionierinnen zu porträtieren. Ob Begründerin der modernen Algebra, erste ›First-Class‹ Oxford-Absolventin im Fach Mathematik oder erste Mathematik-Professorin weltweit:

Sie alle sind auf die eine oder andere Art Vorreiterinnen auf dem Gebiet der Mathematik.

Anhand biographischer Daten und wenig bekannter Anekdoten erfahren Sie mehr über Leben und Wirken ausgewählter ›1st Ladies‹. Auf einem kurzen Streifzug durch drei Jahrhunderte wird deutlich, wie schwer es in der Geschichte der Mathematik für Frauen war, wissenschaftliche Anerkennung zu erlangen. Zwar hat die Beteiligung von Frauen in der Mathematik zugenommen – fast die Hälfte der  Mathematikstudierenden sind mittlerweile weiblich. Doch auch heute noch sind sie im Spitzenbereich der mathematischen Forschung und Wissenschaft die Minderheit.

 

»I can see that without being excited mathematics
can look pointless and cold.
The beauty of mathematics only shows itself to more patient followers.«

Maryam Mirzakhani

 

 

1994 Erste Frau, die in der iranischen Mannschaft bei der Mathematik-Olympiade teilnimmt, zugleich erste iranische Goldmedaillengewinnerin

1995 Erste iranische Goldmedaillengewinnerin der Mathematik-Olympiade mit voller Punktzahl

2014 Erste Frau, die mit der Fields-Medaille ausgezeichnet wird

 

Leben

3. Mai 1977
geboren in Teheran, Iran

2004
Promotion an der Harvard University unter dem Fields-Medaillengewinner Curtis T. McMullen

2008
Berufung als ordentliche Professorin an die Stanford University

2013
Auszeichnung mit dem Ruth Lyttle Satter Prize

 

2014
Auszeichnung mit dem Clay Research Award für bedeutende Beiträge
zur Geometrie und Ergodentheorie http://de.wikipedia.org/wiki/Maryam_Mirzakhani (Stand 26. September 2014)

14. Juli 2017
in Stanford, Kalifornien gestorben

Die Fields-Medaille
ist eine der höchsten Auszeichnungen, die eine Mathematiker:in erhalten kann. Sie wird alle vier Jahre von der Internationalen Mathematischen Union für herausragende Forschung an zwei bis vier Mathematiker verliehen.
Maryam Mirzakhani ist nicht nur die erste Frau, die für ihre Arbeit die Fields-
Medaille erhält, sondern auch die erste Iranerin. Der iranische Präsident Hassan Rouhani gratulierte, indem er jeweils ein Foto von Mirzakhani mit und ohne Kopftuch twitterte – was eine internationale Debatte auslöste.

de.wikipedia.org/wiki/Fields-Medaille

Die Vielseitige
Maryam Mirzakhani ist in vielen mathematischen Gebieten bewandert – darunter Algebra, Analysis, komplexe Analysis und hyperbolische Geometrie –, die sie in bemerkenswerter Weise miteinander kombiniert. Mit der Fields-Medaille wurden ihre herausragenden Beiträge zur
Geometrie und Dynamik Riemannscher Flächen ausgezeichnet:
»Her work on Riemann surfaces and their moduli spaces bridges several mathematical disciplines – hyperbolic geometry, complex analysis, topology, and dynamics – and influences them all in return.«

Schicksalhafte Freundschaft
Zunächst wollte die begeisterte Leserin Maryam Mirzakhani Schriftstellerin werden. Ein Lehrer sprach ihr das Talent für die Mathematik sogar ab, sodass sie Selbstvertrauen und das Interesse daran zunächst verlor. Die engagierte Lehrerin und die Freundin Roya Beheshti, heute ebenfalls Mathematikprofessorin in den USA, motivierten sie für das Fach.

 

»Meine Herren, dies ist eine
Universität und keine
Badeanstalt!«

David Hilbert über die Widerstände
gegen Emmy Noethers Zulassungsverfahren

 

 

1909 Erste Frau, die eine Rede bei der Jahres-Versammlung der Deutschen Mathematikervereinigung (DMV) hält

1919 Erste Frau, die in Deutschland in Mathematik habilitiert – mit der Arbeit ›Invariante Variationsprobleme‹

1932 Erste Frau, die auf dem Internationalen Mathematiker-Kongress in Zürich einen Hauptvortrag hält

Leben

23. März 1882
geboren in Erlangen

1900
Staatsprüfung als Lehrerinnen der englischen und französischen Sprache

1903
Abitur am Königlichen Realgymnasium in Nürnberg

1904
Immatrikulation für Mathematik in Erlangen

1907
Promotion in Erlangen

1909
David Hilbert und Felix Klein holen Emmy Noether als Mitarbeiterin an das mathematische Institut in Göttingen

 

1922
außerordentliche Professorin der Algebra an der Universität Göttingen

1933
Emigration in die USA, Antritt einer Gastprofessur in Bryn Mawr (Pennsylvania, USA)

14. April 1935
gestorben in Bryn Mawr (Pennsylvania, USA)

Diskriminierung als Frau und Jüdin
Emmy Noether wurde sowohl als Frau als auch als Jüdin diskriminiert. Die Universität Göttingen lehnte den ersten Antrag auf Habilitation aufgrund ihres Geschlechts ab, obwohl sich viele namenhafte Wissenschaftler wie Albert Einstein, Felix Klein und David Hilber dafür eingesetzt hatten. Erst nachdem Frauen nach Ende des 1. Weltkrieges mehr Rechte erhielten, konnte das Habilverfahren 1919 durchgeführt werden.

1933 emigrierte sie in die USA, da man ihr in Deutschland durch ein vom Naziregime erlassenes Gesetz die Lehrbefugnis entzog.

 

 

»Es ist unmöglich Mathematiker zu sein, wenn man nicht die Seele eines Dichters hat.«

Sofia Kowalewskaja
 

 

 

1874 Erste Frau, die in Europa mit gleich drei verschiedenen Arbeiten an der Universität Göttingen promoviert

1889 Erste Frau weltweit, die eine ordentliche Professur erhält: An der Stockholmer Hochschule wird sie Professorin auf Lebenszeit und ist damit die erste Frau, die sich durch ihre wissenschaftliche Betätigung eine sichere ökonomische Basis für ihr Leben schaffen kann

 

Leben

3. Januar 1850
geboren in Moskau

1867
Mathematikunterricht in St. Petersburg

1868
Scheinehe mit Wladimir Kowalewski, um ausreisen und studieren zu dürfen

1869 – 1871
Studium als Gasthörerin in Heidelberg

1871
Privatstunden bei Karl Weierstraß in Berlin, da sie an der Universität nicht zugelassen wird

1874
Promotion an der Universität Göttingen mit drei Einzelarbeiten

29. Januar 1891
Sofia Kowalewskaja stirbt im Alter von 41 Jahren an einem Lungenleiden in Stockholm

Mathematisches Vermächtnis
In den Jahren 1886 bis 1888 gelingt Sofia Kowalewskaja der Durchbruch bei der Lösung des Rotationsproblems eines festen Körpers. Die von ihr berechnete, nicht symmetrische Kreiselform wird noch heute ›Kowalewskaja-Kreisel‹ genannt. Am 24. Dezember 1888 erhält sie für diese Arbeit den ›Prix Bordin‹ der französischen Akademie der Wissenschaft. Sofia Kowalewskaja ist außerdem Mitherausgeberin der 1882 gegründeten und bis heute renommierten Fachzeitschrift ›Acta mathematica‹.

Steiniger Weg zum Erfolg
Ihre Familie gehörte zum gebildeten Adel. Bereits als Kind war sie von der Mathematik fasziniert und las heimlich die mathematischen Werke in der Familienbibliothek. Gegen den Willen des Vaters wollte sie unbedingt Mathematik studieren. Zu diesem Zweck ging sie eine Scheinehe ein, was ihr schließlich ein Studium der Mathematik in Heidelberg ermöglichte. Sowohl ihre Professoren als auch ihr Privatdozent Weierstraß unterzogen sie vorher Prüfungen und Auswahlgesprächen.

Die ›Nobel-Affäre‹?!

Ende 1878 lernte Sofia Kowalewskaja Alfred Nobel kennen. Bis heute hält sich hartnäckig das Gerücht, sie habe Nobel nach einer kurzen Liaison für den schwedischen Mathematiker Gösta Mittag-Leffer verlassen. Dies habe bei Nobel nicht nur zu Liebeskummer, sondern auch zu einer lebenslangen Abneigung gegen die Mathematik geführt, weshalb er in seinem Testament keinen Nobelpreis für diese Disziplin auslobte. Auch mit ihrem Doktorvater Weierstraß wurde ihr eine Beziehung nachgesagt, die wohl weit über eine normale Lehrer-Schüler-Beziehung hinausging. de.wikipedia.org/wiki/Sofja_Wassiljewna_Kowalewskaja

Die Liebe zu Dostojewski blieb dagegen unerwidert – er hatte Gefallen an ihrer Schwester Anna gefunden.

 

»Very few women have been elected to the Royal Society who combine teaching and research, still fewer combine marriage and the Royal Society.«

Mary Cartwright
 

 

 

1923 Erste Frau mit einem First-Class-Abschluss in Mathematik an der Oxford University

1947 Erste Mathematikerin, die in die Royal Society London gewählt wird

1961–1963 Erste Präsidentin der London Mathematical Society (bis 2004 einzige Frau)

1964 Erste Frau, die mit der ›Royal Society Sylvester Medal‹ ausgezeichnet wird

1968 Erste Frau, die mit der ›London Maths Society De Morgan Medal‹ ausgezeichnet wird

 

Leben

17. Dezember 1900
geboren in Aynho Northamptonshire, UK

1935 – 1959
Dozentin an der Cambridge University

1936 – 1949
Director of Studies in Mathematics, Girton College, Cambridge University

1940 – 1944
Commandant of the College Red Cross Detachment

1949 – 1968
Mistress of Girton College (Titel des weiblichen Oberhaupts eines Colleges) mit der längsten Anstellung in der Geschichte des Colleges

1959 – 1968
Reader in Theory of Functions, Cambridge University

1968 – 1998
Assorted Visiting Professorship

3. April 1998
gestorben in Cambridge, UK

Mathematische Bildung als Herzensangelegenheit
Nach ihrem Abschluss verließ Mary Cartwright die Oxford University, weil sie ihrem Vater nicht weiter finanziell zur Last fallen wollte. Von 1923 bis 1927 unterrichtete sie als Lehrerin an den Mädchenschulen Alice Ottley School in Worcester und Wycombe Abbey School in Buckinghamshire. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen organisierte sie später in Cambridge Tagungen für mathematische Lehrkräfte, um deren Horizont zu erweitern und deren Selbstachtung zu stärken.

 

Chaos ist in Ordnung
Ab 1938 erforschte Mary Cartwright gemeinsam mit J. E. Littlewood im Auftrag der britischen Regierung Radaranlagen. Denn das Verhalten der Bauteile schien unter scheinbar beherrschbaren Rahmenbedingungen nicht vorhersehbar. Bei der Berechnung dieser Fragestellung entdeckten sie die große Sensibilität der Lösungen bezüglich kleiner Änderungen der Anfangsbedingungen. Dieses Phänomen wurde später in der Chaostheorie als Schmetterlingseffekt populär.

 

Mathematik oder Geschichte?
Von insgesamt fünf Frauen, die zu jener Zeit in Oxford Mathematik studierten, war Mary Cartwright die einzige, die den Abschluss machte. Während die anderen Studentinnen das Fach wechselten, traf sie eine pragmatische Entscheidung: »I got a second and I had to choose whether to continue to Finals or to change to some other subject such as history. I decided to continue in maths largely because history seemed to entail longer hours of work.«

Quelle: The College Mathematics Journal_Vol. 32_No. 4 (Sep., 2001)_pp. 242-254_An Interview with Dame Mary L. Cartwright, 247 Text

 

Die Ausstellung wurde kuratiert von Mila Runnwerth und Jennifer Vietze.

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