April 2022

Giuseppe Levati

Projekt für die Kirche San Vittorio in Martire in Lainate bei Mailand, Grundriss, um 1770?

Feder Bleistift, Pinsel, Tusche

72 x 96 cm

 

TIB Slg A. Haupt gr. I. Z. A. 1:2

Der Name des Verfassers des Plans für einen Neubau der Pfarrkirche San Vittorio in Martire in Lainate bei Mailand mag auf den ersten Blick stutzig machen: Giuseppe Levati (1739-1828) gilt vorrangig als einer der angesehensten Maler und Innenausstatter der Jahrzehnte um 1800 im Mailänder Raum. 1802 wurde ihm die Leitung der Schule für Perspektive an der Akademie der schönen Künste in Mailand übertragen, die er bis ins hohe Alter innehatte. Als Architekt trat er dagegen weniger in Erscheinung. Bekannt sind einige Altarentwürfe für Mailänder Kirchen. Kaum bekannt sind von ihm gezeichnete Projektentwürfe von Monumentalarchitekturen. Daher ist das Projekt gleich in zweifacher Hinsicht für ihn ungewöhnlich:  Es handelt sich um ein konkretes Um- und Neubauprojekt für einen größeren Kirchenbau, für den der ältere Vorgänger, eine spätmittelalterliche Saalkirche weitestgehend abgerissen werden sollte. Levati verfolgte dabei auch ein städtebauliche Neuordnung, indem er den neuen Bau in seiner Orientierung um 90 Grad drehte und die Gebäudefluchten zur Platzanlage vor der neu geschaffenen Zugangsseite neu bestimmte.

Levati, der selbstbewußt die Abkürzung für „Architetto“ hinter seinen Namen setzte, hat auf dem Plan zahlreiche Erläuterungen eingetragen, die u.a. Auskunft zum alten Bestand der Kirche geben: Mit Schwarz und Grau markierte er die Bauteile der neuen Kirche und des Campanile sowie die neu zu errichtende Mauern des angrenzenden Pfarrhauses; in Rot legte er bestehende Bauteile an, die in der Substanz übernommen werden sollten, in Gelb die abzutragenden Gebäudeteile. Im Grundriss der als Zentralbau frei nach dem „Mailänder Schemas“ angelegten Kirche stellte er zwei Varianten zur Ausformung des Kreuzarms mit dem Eingangsportikus vor. Der Entwurf spiegelt eine gute Kenntnis der oberitalienischen und römischen Renaissancearchitektur wider, die sich Levati nicht zuletzt in jungen Jahren durch ein intensives Studium der Architekturtraktate Vignolas, Palladios und Serlios angeeignet hatte.

Eine genauere zeitliche Einordung des Entwurfs lässt sich bisher nicht vornehmen. Levati war ab ca. 1760 mit Ausschmückungsarbeiten an der Villa Visconti Borromeo-Litta in Lainate betraut. Besonders in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts stieg die Gemeindegröße in Lainate deutlich an, so dass der von Levati vorgelegte Plan vermutlich auf den konkreten Platzbedarf reagierte. Zur Ausführung von Levatis Planungen kam es jedoch nicht. Erst 1887 wurde der Glockenturm errichtet; die neue Pfarrkirche wurde 1912 nach dem Abriss der vorherigen Kirche begonnen, wobei man offenbar auf Levatis städtebauliches Konzept zurückgriff. Die Weihe fand am 30. November 1930 statt. Levatis Planung dürfte jedoch nicht zuletzt auch für die Baugeschichte der alten, im späten 13. Jahrhundert erstmals bezeugten Pfarrkirche eine wertvolle Quelle darstellen. Im Zuge der Recherchen zu diesem Blatt konnten zudem auch weitere Blätter aus der Hand Levatis in der Sammlung A. Haupt identifiziert werden.

Simon Paulus

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