Februar 2022

Anonym, Zwei Kartuschen

(Capricci nach Devisen aus den "Tapisseries du Roy")

Radierung, um 1700

14,0 cm x 24,8 cm

TIB Slg. A. Haupt, kl D GR 15 (1): 2

Das Blatt zeigt zwei aufwändig dekorierte Kartuschen. Linkerhand präsentieren drei Frösche ein aus Rohrkolben gebundenes Rund, das den Blick auf ein weites Meer mit einem imposanten Delfin im Zentrum freigibt. Rechterhand zeigt der Tondo den gewundenen Lauf eines Flusses mit kleiner Ortschaft und hohem Gebirge im Hintergrund. Gerätschaften des Ackerbaus und üppige Erntefrüchte rahmen die Landschaftsdarstellung.  In der rechten unteren Ecke, innerhalb des gut erkennbaren Plattenrandes ist die Tafelnummer "31" zu erkennen, die mit Feder in "42" korrigiert wurde. Es sind keine weiteren Angaben zum Entwerfer oder Radierer vermerkt. Aus welcher Folge das Blatt stammt, konnte bislang nicht eruiert werden. Bei den Motiven allerdings handelt es sich um Übernahmen und Neukombinationen aus den berühmten "Tapisseries du Roy Ou Sont Representez Les Quatre Elemens Et Les Quatre Saisons ", die Ende des 17. Jahrhunderts publiziert wurden und in mehreren Ausgaben und Übersetzungen erschienenen (Seeger 2010).

In den "Tapisseries du Roy" werden zwei Gobelin-Serien – Die vier Elemente und Die vier Jahreszeiten – aus der königlichen Teppich-Manufaktur Ludwigs IVX. präsentiert. Das Projekt umfasste acht Kartons von Charles Le Brun (1619–1690) mit allegorisch-mythologischen Darstellungen.  Jede dieser Darstellungen wurde von vier Eckmedaillons mit Devisen begleitet. Verse von Charles Perrault (1628–1703) u.a. sowie Erläuterungen von André Félibien (1619–1695) erklären die Bedeutung der Bilder und ihre Verbindung zur ruhmreichen und herausragenden Regentschaft des Sonnenkönigs. Veröffentlicht wurden zunächst die Texte, es folgte ein prunkvoll illuminiertes Manuskript für den König, in dem der Künstler Jacques Bailly (1629–1679) jede Devise einzeln inszenierte und mit prächtiger Kartusche versah (Paris, BnF, Français 7819). Schließlich erschien 1679 eine staatlich autorisierte Druckausgabe mit Stichen von Sébastien LeClerc (1637–1714) bei Marbre-Cramoisy in Paris, die die Zeichnungen Baillys detailgetreu übernahm und ebenfalls sowohl die Verse als auch die Erläuterungen umfasste.

In den beiden Capricci werden die aufwändigen Kartuschen simplifiziert und modifiziert: Die Frösche, die in den „Tapisseries“ in der Devise XI "Pour la Bonté dans la pièce de l'element de l'eau" eine Flusslandschaft rahmen, präsentieren hier das Bild des Delfins aus der Devise XII "Pour la Valeur dans la pièce de l’element de l‘eau", das Bailly mit einer Kartusche aus Muscheln, Nautiluspokalen und Meerwesen gerahmt hatte. Das rechte Medaillon mit Flusslandschaft ist eine Abwandlung der obengenannten Devise XI und wird in die stark vereinfachten Kartusche mit Erntegerät und -früchten der Devise XVI „Pour la Magnanimité dans la pièce de l'elelemt de la terre“ eingepasst.

In der Sammlung Haupt finden sich unter den Graphischen Einzelblättern, neben den beiden Capricci, 28 ausgeschnittene Devisen-Kupfer, die allerdings nicht der französischen Ausgabe entstammen, sondern den Nachdrucken (1687 und 1690) von Johann Ulrich Kraus (1655–1719). Der Augsburger Kupferstecher und Verleger gab ab 1687 mehrere Nachdrucke der „Tapisseries“ in französischer Sprache mit deutscher Übersetzung heraus. Seine Frau Johanna Sibylla Ulrich (1650–1717, geb. Küsel) kopierte minutiös die Abbildungen, die im Gegensinn erschienen. Albrecht Haupt besaß außerdem eine gebundene Ausgabe der „Tapisseries“ aus dem Verlag Kraus‘, für die der emblematische Satzspiegel aufgelöst wurde, um im vom Text separierten Bildteil jeweils zwei Kupfer pro Seite übereinander anzuordnen (TIB, 4 Haupt 627). Ausgestattet mit dem umfangreichen Vergleichsmaterial seiner eigenen Sammlung war es Haupt möglich und ist es auch uns heute möglich, die hier gezeigten Capricci einzuordnen. Der panegyrischen Intention vollständig beraubt, tradieren sie zwar die französische Hofkunst, bezeugen aber auch die Verselbständigung und manchmal versatzstückartige Anwendung der über die Druckgraphik verbreiteten Motive.

Birte Rubach

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